Fuchsjagd

Story 9

 

Sogar der Weltenschöpfer entriss am siebten Tag frivol dem ollen Adam eine Rippe.

Mit diesem Raubgut schuf er eine Eva und hinterher sogar die ganze Menschensippe.

 

                                                       ***

Das Jagdhorn schallt. Die Pferde wiehern. Es hecheln Meute-Hunde.

Die Jäger sitzen hoch zu Ross, sind mit dem Gevatter Tod im Bunde. 

Ab geht die Treibjagd, bei der die Mehrheit selbstverständlich siegt,

die Minderheit stets ausgeweidet mit leeren Augen am Boden liegt.

 

Die Vollblutpferde aus Arabien sind nobler Herkunft, eine stolze Rasse.

Die Jäger und ihre Kläffer gehören keineswegs zu einer edlen Klasse.

Was Jägern fehlt an Kompetenz, ergänzen sie durch schiere Masse.

Ihr Schädel scheppert leer, denn Flaute herrscht in ihres Geistes Kasse. 

 

Sie tragen arrogante Mienen, rote Jacken, weiße Hosen, schwarze Hüte.

Sie schwingen Lederpeitschen. Auf ihrem sündhaft teuren Zuchtgestüte

da mendeln sie durchaus erfolgreich wilde Hengste und nervöse Stuten.

Doch was die eigene Qualität der Jäger anbetrifft, da sind die extra-guten

 

Chromosomen öfters durch das unerbittliche Sieb der Selektion gefallen.

Was übrig blieb, gehört zum Ausschuss nur, nicht zu den Diamantkristallen.

Witz und Schönheit? Von solchen Eigenschaften fehlt meistens jede Spur.

Die Jäger der geschassten Füchse bräuchten eine Blutverjüngungskur.

 

Man frönt gedankenlos den Dingen, die einmal waren, altvertrauten Ritualen.

Wer nichts mehr ist, kann immer noch vor seinesgleichen mächtig prahlen

und tun, als ob man nach wie vor 'ne Kruste vom besten Salz der Erde wäre,

als lebe man noch immer abgehoben auf einem Thron in einer Stratosphäre.

 

Man ist zwar auf den Hund gekommen, präziser formuliert, auf eine ganze Meute.

Die Spitzen der Gesellschaft? Dort oben glänzen mittlerweile ganz andere Leute.

Herzogtümer, Grafenkronen? Die Jagd erzielt heut' nur noch eine karge Beute.

Sie offeriert nur angeknackte Hirschgeweihe plus jede Menge ausgestopfter Häute.

 

Der Ruhm ist leider sehr vergänglich, ist temporär, ist letztlich Schall und Rauch.

Portweinselig, im Standesdünkel, zieht man feste ein, den gut genährten Bauch.

Wenn dieser Pöbel sich zusammenrottet, gebärdet er sich pseudo-kultiviert.

Ganz oben ist er völlig leer, nur unten ist er aufgebläht und zünftig konstipiert.

 

Das Rad der Zeit, es dreht sich schnell und schaufelt Wasser in die Höh’.

Dann lässt es dieses fallen. Es spritzt. Und schon erfolgt der nächste Dreh.

Die Generationen folgen sich. Mal ist man oben und mal leider nicht.

Das leuchtet vielen Menschen ein, doch manchen zündet’s niemals nicht.

 

Der Aufstieg, der von unten bis nach oben führt, ist manchmal eher kurios.

Die Klettertricks sind stets dieselben. Nur selten sind sie kreativ und virtuos.

Das etablierte Schema heißt: Wer seinen Gegner eisern bei den Eiern fasst,

dem folgt der Rest des Mannes. Er tut dies jammernd, und auch voller Hast.

 

                                                     ***

 

Hier ist ein schönes Beispiel, das Menschen, eindrucksvoller geht's nicht, illustriert,

wie man den Ausstieg aus dem Moor der Unterklasse erfolgreich inszeniert. 

Wer auf dem schweren Weg nach oben seine Strategien richtig disponiert,

ist jemand, der sogar bei einer wilden Hetzjagd die Orientierung nie verliert.

 

Die Mutter war noch eine fesche Magd. Sie molk im Stall des reichen Grafen Kühe.

Die Tochter klimpert heute Chopins Nocturnes auf dem Flügel, 'ne schlimme Brühe

von Rhythmen, Klängen, Harmonien, die vorn und hinten nicht zusammenpassen.

Sie hackt herum, ganz ungestüm, als würden primitive Bauernburschen johlend jassen.

 

Wie überstieg die Mutter damals, fragt man voller Neugier, den Klassenunterschied?

Sie schaffte es im Heustock strampelnd, kichernd, hingerissen von einem Wiegenlied,

als ihr der liebe Graf auf seinem Pfeifchen unverhofft ein strammes Ständchen gab.

Er war noch jung damals. Mit Zähnen und mit vollem Haarschopf. Ein fescher Knab.

 

Ihm fehlte jedoch leider Disziplin. Er bäumte sich hoch auf. Mit einem Lendenstoß,

und jaulend wie ein Jagdhund, ergoss er warme Wonne in ihren bleichen Schoß.

Sie wurde schwanger. Seine Eltern boten ein durchaus respektables Schweigegeld.

Die schlaue Schwangere drohte kühl mit einem Richter für deren jungen Springinsfeld.

 

Die Eltern fürchteten 'nen lästigen Skandal, optierten deshalb für 'nen Kompromiss.

Dies war ja nicht das erste Mal, dass die Oberklasse sogleich das Handtuch schmiss.

Was immerhin ein Vorteil war: Das alte Erbgut wurde aufgefrischt, und dies war gut,

denn Inzucht wirkt sich ganz fatal aus auf der Gene Qualität sogar im blauen Blut.

 

Der Bischof, der die Ehe segnete, hatte seinerzeit als Jung-Kaplan schnell reüssiert,

weil er sogleich begriffen hatte, was die Prälaten schätzten. Sie waren ungeniert,

und er war sehr gefügig, ein Ephebe, der im Zweifelsfalle nie Probleme machte.

Wen wundert’s, dass ihm seine submissive Taktik mit der Zeit viel Segen brachte?

 

Wer es im Leben schnell zu etwas bringen will, der muss halt eisern schweigen können

und jenen Leuten, die von ihm partout was haben wollen, dieses herzlich gönnen.

Sogar der Weltenschöpfer entriss am siebten Tag frivol dem ollen Adam eine Rippe.

Mit diesem Raubgut schuf er eine Eva und hinterher sogar die ganze Menschensippe.

 

Kurz formuliert: Der große Sprung nach oben startet, so will's die Regel, oft kriminell.

Selbst Moralisten müssen akzeptieren, was Fakt ist: Die Welt ist manchmal ein Bordell. 

Nur Softies glauben, dass man die Natur des Menschen gewaltlos ändern kann.

Aus einem schwärmerischen Träumer wird eben eher selten ein arrivierter Mann!

 

                                                             ***

 

Das Leben ist ’ne fulminante Fuchsjagd. Dort gibt es Jäger, und es gibt Gejagte.

Das Leben ist ’ne fulminante Fuchsjagd. Dort gibt es Junge, und es gibt Betagte.

Dort gibt es welche, die gemäß den etablierten Regeln immer wieder siegen.

Dort gibt es welche, die gemäß den etablierten Regeln meistens Prügel kriegen.

 

Dort gibt es ein paar superreiche Ober- und sehr viele ultra-arme Unterklassen.

Dort gibt es feiste weiße Herren- und farbenreiche, abgemagerte Sklavenrassen.

Wer unten ist, muss viele Regeln brechen, wenn er ebenfalls mal siegen will.

Er muss ganz unverschämt sein, rücksichtslos, im Zweifelsfalle durchaus schrill.

 

Wer oben ist, hat eine funktionelle Schwäche. Er muss partout scheinheilig sein.

Er muss so tun als ob und frömmelnd lächeln, man stellt ihm sonst sogleich ein Bein.

Er fürchtet sehr die Schadenfreude. Viel schlimmer ist ein coram-publico Skandal,

denn ausgelacht zu werden öffentlich, ist für verklemmte Hypokriten stets fatal. 

 

In unseren Breitengraden gibt es viele Jäger, zahlreicher sind jedoch die roten Füchse.

Die schlauen Kreaturen laufen keinem Jäger direkt vor dessen schießbereite Büchse.

Und manchmal gibt es auf der Bühne schnelle Wechsel im etablierten Rollenspiel.

Dann werden Jäger zu Gejagten. So ändert sich ganz plötzlich das angepeilte Ziel.

 

                                                                   ***

photo © greta guntern gallati

Kommentar schreiben

Kommentare: 0