Stiletto sanguinoso

Story 6

 

So schnell vergeht die Lust der Triebe und auch des Herzens Liebe, oder was man manchmal dafür hält.

So schnell erkaltet oft ein heißer Flirt, wenn jäher Schmerz die Lust am Liebesabenteuer dir vergällt.

 

Wer je in einer brachen Lebenskrise auf einmal unverhofft das altbekannte große Reißen spürt

und sich in einer überhöhten Erwartungshaltung vor den Spiegel setzt, frisiert und zünftig manikürt,

der wird dann, derart rausgeprotzt und aufgemotzt, ganz ohne Zweifel Unvergessliches erleben.

Vielleicht wird er — doch meistens ist es eine sie — vor Wonneschauern zittern und erbeben.

Wer aufgetakelt wie ein Flittchen, Titten fröhlich wippend, Haus und Hof verlässt, erfährt die Welt,

sofern ihr, grell bemalt wie eine Prunklaterne, für geile Abenteuer nicht die nötige Begabung fehlt.

 

Man darf sich, dies ist von ausgefuchsten Ethologen akzeptiert, auf keinen Fall genieren,

will man beim Faktenstudium zur Fastnachtszeit den homo sapiens gründlich explorieren.

Da gibt es Exemplare —  du meine bodenlose Wundertüte! — das ist doch wirklich nicht zu fassen.

Im obersten Stübchen ist ihr Schrank ganz leer; und weiter unten fehlen Teller und die meisten Tassen.

Man sollte, trotz der oft gemachten gegenteiligen Erfahrung, es einfach nicht für möglich halten,

dass die von allen guten Geistern im Stich gelassenen Geschöpfe manchmal derart sinnlos walten.

 

Sie scheuen meist das grelle Licht. Viel lieber zeigen sie dafür im Dunkeln, was sie zu bieten haben.

Sie tummeln sich nervös, vermeintlich ziellos wie die Kakerlaken — das sind gemeine Küchenschaben.

Gewissen Exemplaren fehlt bei aller Mühe, die sie beim Imponieren aktivieren, stets der gute Stil.

Was ihnen abgeht, man wagt so was nicht gerne laut zu sagen, ist leider Gottes jeweils allzu viel.

Ihr Lockruf ist nicht lieblich, sondern atavistisch, er röhrt ganz hemmungslos und somit gar nicht zierlich.

Die Attitüde ist pathetisch-protzig und deshalb, klar doch, das schiere Gegenteil von hübsch-possierlich.

 

Sie johlen, wenn sie schon 'ne Batterie von Schnäpsen intus haben, öfter emmerdierliche Sottisen,

und kämpfen rücksichtlos mit Zähnen und mit Klauen. Sie balgen sich am liebsten mit Machenschaften fiesen.

Es gibt natürlich auf dem Tummelplatz der Gier und Lüste träge Schnecken, die ganz maßlos schleimen,

dieweil sie bei der rabiaten Zielverfolgung naive Beutetiere mit ihren Körpersäften kräftig leimen.

Per saldo, lehrt die Kulturgeschichte dieser Welt, ist die Mehrheit unserer Spezies eher ziemlich schlimm.

Wer diese Kreaturen unvoreingenommen wissenschaftlich inspiziert, den packt der schiere Grimm.

 

Es war einmal schon lang ist's her und nur ein Beispiel, in einer Gunst-Kaschemme in der öden Pfalz.

Dort herrschte, das ist amtlich astrein registriert, ein wüstes Brunst-Geschlemme bei einer schnöden Balz.

Dort bäumten sich gar viele, kaum verhüllte Nymphen kreischend auf beim ultrageilen Konsumieren,

und Satyrn träumten, augentriefend ihre nassen Lefzen leckend, vom sehr beliebten Feigen-Balsamieren.

Manch eine ließ sich sensuell-laszive reiben den Schleimhautrand der Wonneschüssel.

Manch einer blieb dann hinterher, so steht's geschrieben, allein zurück am Strand der wunden Stollenrüssel.

 

In der Kaschemme, von der in dieser Mär die Rede ist, da lunzte eine Jubelbraut im dunklen Schweinestall.

Und neben ihr auf einer Luftmatratze grunzte ein Freier arg erschöpft vom wiederholten Sündenfall.

Die Tugend hatte in diesem Hexentanz ihre Stehkraft eingebüßt und kroch ermattet rum auf allen Vieren.

Man übertreibt kein bisschen, wenn man feststellt, diese Gotteskinder glichen sehr den wilden Tieren.

Das ausgelassene Bacchanal, es drohte zu erschlaffen. Da bot die Gouvernante eilig frische Schnäppchen feil,

und manch ein schlapper Schwerenöter wachte auf zu neuem Leben und grapschte nach dem Spaßvorteil.

 

Besagte Dame war nicht ohne. Sie gab die reifen Früchte preis. Sie ließ sie schamlos prangen

und üppig, ohne zu erröten, augenfällig über drahtversteifte Seidenstoffbalkone runter hangen.

Sie machte alle Männer an, begann zu tanzen und wiegte sich im Tangotakt kokett in ihren Amboss-Hüften,

vergnügte sich im rosaroten Schnürkorsett mit aufgegeilten Buhlen frech in dubiosen Rammstoß-Klüften.

Sie tat, was Weibchen seit dem Rauswurf aus dem Paradiese tun, die willige Männchen fangen wollen,

wobei in dieser Aufholjagd ihr pausenlos die Perlen ihres Schweißes über rote Puderwangen rollen.

 

Sie jaulte, quietschte und krakeelte. Und sie wölbte zähnebleckend ihre scharlachrot bemalten Lippen

Sie rasselte mit Ohrgehängen und Armreifen, schüttelte ihre Mähne und fetten Polster auf den Rippen.

Sie spreizte ihre Schenkel, ließ auf glatter Teakholz-Theke seidenstrumpf-bewehrte Beine wippen.

Begann graziös wie eine persische Prinzessin, den kleinen Finger spreizend am Porzellan zu nippen.

Die ganze, gut trainierte Verführungsinszenierung machte Eindruck auf den ziemlich korpulenten Herrn,

der wie ein Hengst, gewölbten Augen, nur die pralle Pfirsichstute sah, nicht deren halb verwesten Kern.

 

Der Mann begann sich heftig zu erwärmen. Er schaukelte sich auf und glotzte sehr begehrlich.

Er war dem Leben zugetan und wusste, wozu Fliedermieder taugen, seien wir doch ehrlich!

Sie hörte, wie er mit den Lippen schmatzte. Sie stöhnte "uuuh“ und rollte ihre mascara-glasierten Augen.

Sie aalte ihren vollen Leib. Sie ondulierte, blubberte und föhnte, “duuu, meine strammen Schenkel taugen

zu mehr als nur zum Sitzen auf der Theke, zum kleine Kinder auf dem Schoße wiegen oder barfuß laufen.

Ich kann dich, wie Mongolen ihre Hengste im Galopp, ganz feste klammern, wenn wir uns heftig raufen.“

 

Er quietschte voll Begeisterung und tätschelte sein Bäuchlein, "ich bin ganz weg, du meine Güte!

Du bist 'ne pralle Purpurschnecke, du wirst es schätzen, wenn ich in deinem Farbtopf wüte!“

Sie kreischte, "strammer Deichgraf, lass es sausen. Komm zu mir und lass uns reichlich Cognac saufen!“

Er heischte heiser, während seine Nüstern bebten, "darf ich zupfen an deinen Seidenschlaufen?"

Sie tat, als ob sie Angst vor seinem Zugriff hätte, "Vorsicht Mann! Das Ganze geht mir viel zu schnell!

Ich bin ein unerfahrenes Häschen und werde schnell verwirrt durch allzu lautes Jagdgebell!“

 

Er wiegte seinen Kopf und überlegte seine Taktik, dann schlug er vor mit feinen Gentleman-Manieren:

"Wie wär’s denn, Kindchen, wenn wir erst mal absichtslos am Boulevard rumflanieren?“

Sie tat, als ob sie Pro und Contra wägte, und sie nickte, "wir stolzieren, heute hab ich meinen freien Tag.

Wir könnten dann ein bisschen rumpoussieren, doch nur sofern ich, was du offerierst, auch wirklich mag.“

Man feilschte eine Weile miteinander. Man nannte ganz konkrete Zahlen. So ging es lebhaft hin und her.

Dann wurde man sich handelseinig und, unter uns sei dies gesagt, er lobte gar, ihr Preis sei fair.

 

Das Leben ist oft recht absurd, nicht absehbar und voller Überraschungen. Dies gilt speziell beim Karessieren.

Da kann dem Freier selbst in toller Spenderlaune und Erwartungshaltung plötzlich böses Malheur passieren.

An diesem Tag da trottete besagte Mamsell ganz kokett auf hohen Pumps dahin, da knickte ein Stiletto ein.

Sie strauchelte, er nahm es überhaupt nicht wahr. Sie plumpste japsend auf 'nen granitharten Pflasterstein.

Die Knochenscheibe ihres rechten Knies zersprang in dreizehn kleine Scherben. O höllische Lasterpein!

Sie schrie aus Leibeskräften. Ihr Galan erstarrte, begriff gar nichts und schaute ziemlich deppert drein.

 

In seiner Paralyse war ihm schleierhaft, was er bei diesem Unfall auf dem Pflaster nun tun und lassen sollte.

Perplex war er, der gute Mann, der nicht kapierte, dass die gefällte Dame ihm nunmehr heftig grollte.

Zähneknirschend griff sie ganz spontan nach ihrem Schuh und warf ihm diesen mit Elan an seinen Kopf,

und als er gleich zu Boden ging und sich vor Schmerzen krümmte, ergriff sie ihn ganz rabiat beim Schopf.

Sie zog ihn voller Wut an ihre Brust heran und hielt ihn dort mit Händen und mit Füßen gewaltsam fest.

Das geborstene Stiletto fest in ihrer Faust bescherte sie ihm einen garstig gnadenlos-brutalen Härtetest.

 

Sein Herzensblut troff gemächlich glucksend rot und scheinbar unversiegbar aus siebzehn Leibeswunden.

Die Mamsell mit dem Unfallknie, mit dem Stiletto fuchtelnd, fauchte grimmig, "bei allen meinen Kunden

da halt ich hoch ein Grundprinzip: Bemüh dich stets um die richtige Balance von Geben und von Nehmen!

Das gilt natürlich ganz besonders rigoros im Lotterbett und analog bei allen nah verwandten Themen!

In meiner Not, beim Sturz aufs harte Pflaster, bist du mir, du Ekel, soeben kein bisschen beigestanden,

obwohl mir, in meiner Qual allein gelassen, vor lauter Scheibenschmerzen beinahe alle Sinne schwanden!“

 

Zuerst noch völlig atonal, fand er die Sprache wieder. "Ich war gelähmt, auf einmal lagst du zappelnd unten.“

Sie fand das, was er sagte, läppisch und empörte sich, "Verpiss dich, Mann! Lauf doch zu deinen Tunten!“

Er fand den plötzlichen Gesinnungswandel und ihre Worte gar nicht nett und schlich sich mau von dannen,

dieweil bei seiner arg lädierten Stiletto-Mamsell Blut und Tränen unaufhörlich und lautlos erdwärts rannen.

 

So schnell vergeht die Lust der Triebe und auch des Herzens Liebe, oder was man manchmal dafür hält.

So schnell erkaltet oft ein heißer Flirt, wenn jäher Schmerz die Lust am Liebesabenteuer dir vergällt.

 

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photo © greta guntern-gallati

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