Bürobünzli

Story 3

Photo: AMTSSCHÄDEL 

photo © greta guntern gallati

EINSTEINS UNGLAUCHLICHE ENTDECKUNG

Akt 1 – 4

 © Gottlieb Guntern

 

 

Akt 1

Exakt um acht schlägt Büroheini auf die frisch gelackte Aktenmappe.

Er tut's mit Stolz, denn sie ergänzt seine professionelle Faktenkappe.

Die trägt er unter seinem Schädeldach. Sie ist mentaler Art,

gespeichert tief im Hirn, wo sich Erfahrung mit den Paragraphen paart.

Nur einer der begabt ist, fleißig, unterwürfig, macht hier Karriere.

Wer buckelt und nach unten tritt, kommt mit den Jahren zu viel Ehre.

So klettert man von Rang zu Rang auf steiler Stufenleiter.

Auch das Gehalt, es kraxelt mit. So was stimmt jeden Menschen heiter.

 

Der Büroheini setzt sich würdevoll auf seinen Lederpolster-Bürostuhl.

Der ist sogar bequemer als mancher kaiserliche Sündenpfuhl.

Man kann dran schrauben, und schon sitzt man höher als ein jeder Kunde.

Von oben kann man mit gespitzten Lippen lautlos pfeifen eine Runde.

Wer vom Beamten etwas will, muss notgedrungen aufwärts blicken.

Und was der Bürokrat auch sagen mag, der Antragsteller muss immer dazu nicken.

Dann trommelt der Beamte zufrieden dank Erfolg auf seinen Filz.

Sein Hals wird länger und sein Kopf wird größer als ein regenschwangerer Pilz.

 

Die Stühle, auf denen Bürger mit Beschwerden sitzen, sind oft angeschraubt.

Wer etwas will vom hohen Amtsinhaber ist seiner Freiheit stark beraubt.

Doch wer das Stempelkissen hat, der kann sich vorwärts oder rückwärts lehnen.

Darf rollen hin und her, und wenn er müde wird, darf er ganz kräftig gähnen.

Bei Büroritualen wird dem Kenner der Materie klar: Herr Einstein hatte Recht.

Raum und Zeit sind eins, mit ihren engen Maschen ein Geflecht.

Nur deshalb können Bürokraten Raum-und-Zeit willkürlich dehnen.

Bewegungsfreiheit für die Antragssteller? Sie können sich danach nur sehnen.

 

Ein Büroheini, so will es die Tradition, hat im Zweifelsfalle immer Recht.

Wenn einer dieses Faktum nicht kapiert, dem geht es schlecht.

Man darf mit einem Bürogummi nicht disputieren, das missfällt ihm sehr.

Und schon traktiert er den Besucher, als ob der nichts als leere Luft nur wär.

Der Bürolist greift schnell zum Ordner, zitiert Artikel neun und Absatz zwei,

der dem festgeschraubten Antragsteller klar macht, dass er ein Esel sei.

Die Paragraphen seien hier eindeutig klar. Die Antwort laute „Njet!!

Ein Rekurs sei völlig nutzlos. Drauf mach' ich jede Wett".

 

Der Amtsinhaber weiß, dass Dussel rationale Argumente schnell vergessen.

Von solchen Nieten Einsicht zu erwarten, wäre ganz vermessen.

Da Psychopathen später leugnen, was man ihnen mündlich hat erklärt,

behilft man sich mit einem Amtspapier, damit die Wahrheit ewig währt.

Man greift zum Stempelkissen, haut den Adler aufs Papier.

Das Doppel kommt gleich zu den Akten. Abgetan! Das hätten wir.

Das Bürofräulein wird herbeigepfiffen und bekommt die Order: "Ab und bitte sogleich in die Mappe!"

Sie salutiert, macht rechtsumkehrt, denn sie verwaltet kilometerweise Pappe.

 

 

Akt 2

Dem Antragsteller bleibt die Spucke weg. Er weiß, er hat das Spiel verloren,

bevor es überhaupt begann. Ihm brennen beide Ohren.

Obwohl er tief beleidigt ist, verstellt er sich, so gut er kann.

Und schwört sich heimlich, wenn ich diesen Kerl mal treff' im dunklen Tann,

beim Pilze sammeln, während ich auf einen feisten Eber lauere,

werde ich tun, was ich kein bisschen je bedaure.

Ich knall ihm eine Ladung Blei in seine selbstgerechte Schwarte.

Das schwör ich bei des Propheten langem Barte.

 

Der Abgewiesene verlässt das Bürokratenzimmer, knallt die Türe zu.

Das Bürofräulein ist empört. Beim Pausentee will es, versteht sich, seine Ruh.

Es wünscht, man könnte hier im Amtsbereich auf Rüppel ganz verzichten.

Dann würde man die vielen Pflichten in Harmonie verrichten.

Denn dass der Chef es hinten rum oft lüstern tätschelt und auch zwickt,

gehört zum Risiko im Amt, bei dem man leise quietscht und lächelnd nickt.

Doch dass Besucher hier mit roten Ohren einfach Türen heftig knallen.

Ist unerhört! Man sollte ihnen Seile spannen, damit sie auf die Schnauze fallen.

 

Der Abgewiesene hat die Reaktion des Fräuleins gleich erkannt.

Schon ist der arme Mann von widersprüchlichen Gefühlen halb gebannt.

Zum einen hasst er schon seit jungen Jahren arrogante Paragraphenreiter.

Zum anderen mag er Fräuleins, die gern kichern, fröhlich sind und heiter.

Er wirft der Mamsell einen Blick zu, der ehrlich um Vergebung bittet.

Und hofft, dass diese brave Geste eine klirrende Beziehungsscheibe kittet.

Der Antragssteller huscht gebückten Rückens durch des Fräuleins Raum.

Wenn er's nur wagte, küsste er vor lauter Schuldgefühlen ihren Rockes-Saum.

 

Das darf er nicht, ein zweiter Fauxpas darf nicht sein! Er schließt die Türe hinter

sich ganz leise zu. Beschließt: Wildschweinbraten ist tabu in diesem Winter.

Meine Büchse häng' ich ins Unterdach. Die Munition verschenke ich dem Otto,

der braucht mal was von mir, was ihn nichts kostet, ein kleines Los im Lotto.

Ich bete: Lieb Jesulein, mein Herz ist rein. Da ist kein Platz mehr für die Rache.

Von nun an denk ich positiv, auf keinen Fall an Blut in einer Lache.

Dass es Beamte gibt, die pensioniert noch immer viel verdienen, ist zu loben.

Denn während sie ihr schweres Amt verwalten, müssen sie gelegentlich auch toben.

 

Akt 3

Viele Bürger machen dauernd Unfug, Bürgerinnen sind noch schlimmer,

haben von ihren Pflichten der Gesellschaft gegenüber keinen Schimmer.

Sie pochen dauernd auf die Rechte, die sie nicht besitzen.

Die Diener des Gemeinwohls bringen sie mit ihrem Plärren arg zum Schwitzen.

Dass diesen dann gelegentlich der Kragen platzt, ist wirklich nur normal.

Wer unter Dampf steht, muss Ventile öffnen. Hat keine andere Wahl.

Den Alltagsstress in sich hineinzufressen, das macht die Amtsträger nur kaputt.

 

Statistik ist ein Hort der Wahrheit. Um sie zu kennen muss man Zahlen lesen.

Das tun Beschwerdeträger nicht, sonst würden sie von ihrer Ignoranz genesen.

Sie würden wissen, dass das Sitzen auf den ergonomisch dubiosen Bürostühlen

der Wirbelsäule genau so heftig schadet wie das unbequeme Aktenwühlen

in gebückter Haltung über Schränken. Schubladen klemmen. Es braucht Kraft

sie rauszuziehen oder reinzustoßen. Der Frust, der so entsteht, ist sagenhaft.

Am Abend ist man völlig ausgepumpt. Kaloriendefizite geben Riesenhunger.

Man frisst die Wut hin sich hinein, als wäre man ein Junger,

der tagelang im Tannenwald mit Sägen mächtige Stämme fällt.

Am nächsten Morgen auf der Waage ist die gute Laune schnell vergällt.

Man guckt den Bauch hinunter. Er ist gewölbt und voller Luft wie eine Trommel.

Man denkt mit Wehmut an den schlanken Leib von Marschall Erwin Rommel.

Man möchte wie der Wüstenfuchs nur Siege feiern und Medaillen kriegen.

Stattdessen sieht man Venen wie Lianen sich an magere Waden schmiegen.

Das Selbstmitleid ist schlimmer noch als Hochdruck und ein saurer Magen.

Es raubt dir alle Zuversicht. Statt was zu wagen, kann man nur verzagen.                                                            

 

Was ist mit Idealen? Sogar die Erinnerung daran ist ganz verschwunden.

Wo sind sie nur geblieben, die vielen schönen Stolz erfüllten Stunden?

Als man als junger Mann noch dachte: Der Herrgott liebt die stolzen Recken,

die — Brust heraus und hoch das Kinn! — vor Angriffslust die Zähne blecken.

Die, frisch gescheitelt, Brauen stramm gebürstet, die ganze Welt verwalten

von ihrem großen Pulte aus mit Hilfe ihrer Paragraphen Wirklichkeit gestalten,

die früher jeden frechen Bürger stimmgewaltig schnell zur Schecke machten

und dann bereits am Freitag voller Wonne an den Sonntagsbraten dachten.

 

Inzwischen ist man Realist geworden. Man nimmt den Kopf in seine Hände

und starrt gedankenlos und stundenlang auf feldgrau angemalte Wände.

Inspiration? Ach wo! Monotonie frisst Bürokraten weg die Freude der Poesie.

Nur Pflichtbewusstsein, keine Fantasie führt hier in diesem Reich Regie.

Selbst wenn man gar nichts denkt, wird so ein Kopf nach einer Weile schwer.

Ellbogenschoner kriegen Löcher. Das Gummiband ist lose, hält nicht mehr.

Der Hosenboden ist das Einzige, was noch glänzt, er ist am Arsch poliert.

Doch keiner hört auf unsereiner, wenn man Büroklammern barsch storniert.

 

Akt 4

Herr Einstein war in jungen Jahren im Patentamt Bern Beamter dritter Klasse.

Er verdiente miserabel und hatte schon bei Monatsmitte eine leere Kasse.

Das störte ihn nicht sonderlich, er lebte gut von seiner reichen Fantasie.

Erfand mentale Spiele, ausgerechnet solche mit bizarrer Geometrie:

Wie sieht eine sausende Kugel aus, die ich betrachte,

wenn ich mich auf eine andere Kugel verfrachte,

die mit gleicher Geschwindigkeit durch das Weltall saust?

Die Antwort war spektakulär und ein Professor rief, "dass mich der Affe laust!"

 

Aus lauter Langeweile erfand der Beamte dritter Klasse die Theorie der Relativität.

Die Quantenphysik war nur ein Spaltprodukt, eine Trivialität.

Dank seiner kühnen Konzeption wurde er Physik-Professor an der Zürcher ETH.

Und bald darauf Direktor am Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts gefeiert mit Trara!

Doch als die Nazis seine Theorie als "jüdisches Machwerk" denunzierten,

emigrierte er nach Princeton, wo viele europäische Genies herumspazierten.

Er hatte reichlich Zeit zum Träumen und studierte das Wesen der Bürokratie,

um zu ergründen ihre Pathologie.

 

Was er herausfand, war noch viel verrückter als seine Theorie der Relativität.

Nämlich den mickrigen Beginn der respektierten Amtsautorität.

Die alten Griechen nannten jeden Immigranten 'Barbaros', der Fremde.

Der war natürlich gar nicht reich und steckte stets in einem dreckigen Hemde,

dessen zerschlissener Stoff gewoben war aus billiger Schafswolle.

In jedem Laden stand das Zeug, Rolle an Rolle.

Der Stoff hieß zuerst 'Berberion', der im Vulgärlatein zur 'Bura' dann mutierte.

Wer eine 'Bura' trug, war einer, der vor Reichen sich natürlich arg genierte.

 

Herr Einstein wusste, dass 'kratein' auf Deutsch beherrschen hieß.

Er zählte eins und eins zusammen, bis er auf die richtige Hermeneutik stieß.

Bürokratie bedeutete: Herrschaft des zerschlissenen Wollkleides." Pängg!

Das schlug dem Fass den Boden raus und Einstein jubelte: "O Zaradängg!

Jetzt hab ich endlich ganz begriffen, weshalb die Bürokraten schäbig sind.

Nomen ist immer Omen. Mit so einem Grind ist man auf beiden Augen blind.

Wenn Chefbeamte wüssten, weshalb brave Bürger Bürokraten respektieren,

dann würden sie nur selten oder nie so grob wie Alpenkälber sich gerieren!"

 

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